Samstag, 25. April 2009

Opfermentalität

Maria wuchs in einer Familie am Land auf. Das Leben war hart, die Menschen waren gewohnt, das was sie hatten möglichst so aufzuteilen, dass jeder genug bekam. Aber nur an wenigen Festtagen konnte ihnen dies gelingen. Die meisste Zeit gab es zu wenig, und so mussten sie immer auf etwas verzichten. Und sie wussten, wenn sie über den Sommer etwas opferten, aufsparten, gab es über den Winter genug um zu überleben.

Und so entwickelte Maria eine Opfermentalität: sie nahm sich zurück, um anderen Familienmitgliedern etwas mehr Kraft zu geben. Diese Fokussierung der Energie verschaffte ihnen insgesamt Vorteile, auch ihr selbst, denn es wurde ohnehin alles geteilt. Und sie war glücklich mit dieser Lösung.

Nach dem Schulabschluss übersiedelte Maria in die Stadt und begann als Pflegerin zu arbeiten. Die Arbeit selbst machte ihr Freude, sie konnte ihr Talent, andere zu stärken, gut einsetzen. Auch unter Kollegen wurde ihr Einsatz gerne gesehen, sie wurde oft zu Hilfe gerufen und erwarb so auch sehr gute fachliche Kompetenzen.

Dennoch wurde sie langsam immer unglücklicher. Obwohl sie sich mit voller Energie einsetzte, bekam sie keine entsprechende Anerkennung. Eher im Gegenteil, manche schienen ihr neidig zu sein. Und andere, jene die sie gerne um Hilfe baten, taten dies zwar, gaben dann aber vor der Vorgesetzten an, dass sie es selbst erledigt hätten. Und so kam Maria trotz ihrer guten Leistung nie über den Einstiegsjob hinaus.

Maria war verwirrt, zerrissen. Sie wusste nicht was ihr geschah. Wie konnten diese Menschen so unbarmherzig sein, so hinterhältig? Aber weil sie es gewohnt war sich zurückzunehmen, weil sie nie gelernt hatte, für sich selber etwas zu fordern - sie wusste garnicht wie das geht - und weil sie solches Verhalten wie sie es von den anderen erlebt hatte, auch so verabscheute, konnte und wollte sie nicht so werden wie die. Statt dessen nahm sie diese Leiden auf sich und pflegte sich so gut es ging eben selber, um wenigstens die körperlichen Symptome ihrer Belastung zu lindern.


Musiktipp: Tori Amos - Crucify

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